Schön von außen, traumschön von innen, und leicht irritierend auf dem Weg dazwischen: Ein Vorraum. Erkennbar alt. Braun, Holz, Laminat, ein arg verfehlt wirkendes poppiges Berliner-Bäder-Poster. Ein Aufgang, nach rechts oder links, rechts ist durch eine Kette abgesperrt.
Auf der Treppe ein Poster zu 100 Jahren Schwimmbadgeschichte, dann ein weiterer Vorraum mit Stühlen (Holz, alt), ein ehemaliger Ausgabetresen – das Rollo runtergelassen – ein Druck eines alten Fotos, alles wirkt wie eine verlassene Bahnhofsgaststätte. Bei sechs Vorraumbesuchen saß dort einmal ein Mann, der offensichtlich gerade geschwommen hatte und auf jemand wartete. Sonst immer Leere. Welche Verschwendung dieses Raums.
Dann eine weitere Tür. Ich ziehe sie auf.
Und stehe mit Winterjacke und Stiefeln inmitten einer Schwimmhalle. Menschen, Schwimmen und Plantschen, Wasser gurgelt, bunte Badekleidung, rufen, Leben. Ich bin vielleicht einen Meter vom Wasser weg, mit einem entschlossenen Sprung könnte ich ins Wasser.
Ich aber springe nicht, sondern laufe weiter zum kleinen Nebenraum, der als Büro und Kasse dient und frage dann, wo denn die Umkleidekabinen sind. „Ach, sie sind das erste Mal hier? Warten Sie, Janine, wird Ihnen das erklären.“ Und Janine erklärte. Willkommen im Stadtbad Spandau-Nord.
Das Bad entstand 1908/1910, gestaltet von Paul und Legert, und ist eines dieser klassischen Jugendstil-Hallenbäder. Gebaut wurde es kurz nachdem Spandau nicht mehr Festungsstadt war. Spandau durfte über die Stadtmauern expandieren durfte. Das Bad entstand als eines der ersten Gebäude außerhalb der Stadtmauern im Grünen.(*)
Heute ist es in der Gegend immer noch ziemlich parkartig. In den Nebenstraßen dominieren große Gartengrundstücke mit großzügigen älteren Einfamilienhäusern. Das Stadtbad selbst liegt auf einem Eckgrundstück und ist vollständig von einer Polizeikaserne/Polizeischule, Baujahr 1938 mit dementsprechender Optik, eingeschlossen.
Links und unten alles Kasernen. Open Street Map © OpenStreetMap contributors, made available under the terms of the Open Database License (ODbL). |
Man fahre 800 Meter an der Kaserne vorbei, dann ist da das Schwimmbad, dann biege man ab und fahre wieder 800 Meter an der Kaserne vorbei.
Gebäude
Dem Gebäude sieht man das Entstehungsjahr an. Von außen könnte das auch eine Schule oder ein sehr großes Wohnhaus sein. Aber das Bad ist deutlich schlichter als das aufgedonnerte Jugendstilbad Charlottenburg (1898) und deutlich kleiner als der Museumsinsel-Gedächtnisbau des Stadtbads Neukölln (1912-1914). Das Gebäude ist im Vergleich schlicht und elegant. „Berlin und seine Bauten“ spricht von einer „lebhafte[n] Gliederung“ der Fassade durch risalitartige Vorlagen, angebaute Treppenhäuser, Balkone, Gesimse, Vordächer und Zwerchhäuser.
Nach dem Durchlaufen der Eingangstür geht es geradeaus ins Sonnenstudio, links ein eher kleines Treppenhaus (oder den Fahrtstuhl) hoch in den ersten Stock. Im Erdgeschoss waren einst die je 23 Wannen- und Brausebäder, aber das ist ja schon lange her.
Von Norden geht es hinein. Gelb: da halten sich die Bademeister auf so sie nicht die Gegend rennen. Braun: Umkleiden und Duschen. Open Street Map © OpenStreetMap contributors, made available under the terms of the Open Database License (ODbL). |
Spätestens an der Kasse fällt eine letzte meiner Gewissheiten. So unterschiedlich die Berliner Bäder auch sind; zumindest hat jedes Bad dieses Aludrehkreuz, an dem man seine Eintrittskarte vor einen Scanner halten muss. Aber selbst diese Gewissheit hält nicht. Spandau-Nord hat kein Drehkreuz.
Umkleiden etc.
Janine erklärte: die Kabinen liegen direkt neben dem Schwimmbecken. Mensch geht außen vorbei, dann in die Kabine. In der Kabine klappt man die Bank runter, sodass die Tür zum Gang blockiert wird. Dann zieht man sich um, lässt die Sachen in der Kabine und geht auf der Beckenseite wieder raus. Die Tür ziehe man fest zu.
Wenn mensch denn fertig ist, stelle er sich wieder vor die Kabine und winke. Dann kommt Janine oder einer ihrer Kolleginnen oder Kollegen und schließt auf.
Der Job in Spandau ist vermutlich der kilometerreichste, den die Berliner Bäder zu vergeben haben. Janine war die ganze Zeit, die ich da war auf den Beinen und half Menschen wieder in ihre Kabine. Beim zweiten und dritten Besuch war Janine dann nicht da, aber das System funktioniert auch sonst, wenn auch vielleicht mit Wartezeiten an der Kabine, die einen Ticken länger waren.
Und weil das ganze ja in einem Meter Entfernung zum Beckenrand stattfand, bot es dann auch noch Unterhaltungswert.
Auf der Galerie im zweiten Stock befindet sich ein ähnlicher Aufbau, der über Treppen aus der Schwimmhalle heraus erreichbar ist. Als ich da war, war der Weg durch Hütchen verstellt.
Die Duschen liegen am Längsende. Das obligatorische Schild war ausführlich und schrieb eine „Brausedauer von 5 Minuten“ vor, „bei Nichtbeachtung Badeverbot“. In mir löste das Hektik aus, weil ich nicht wusste, ob ich nun mindestens fünf Minuten – wegen der Hygiene – oder höchstens 5 Minuten – wegen des Platzes, wie in Kreuzberg zum Beispiel – oder genau fünf Minuten duschen sollte, zumal ich keine Uhr dabei hatte. Aber es hat funktioniert.
Vor allem aber sieht ja jeder, wenn man kommt und wie man geht. Die soziale Überwachung des ordnungsgemäßen Duschens scheint mir ausführlich zu sein und besser zu funktionieren als in jedem anderen Bad.
Die Duschen selbst sind ebenso wie die Kabinen aus einer der Sanierungen in den 1950ern oder 1980ern. Die Kabinen (Hartplastik?) in braun-weiß deutlich aus den 1980ern, dieses gelbliche Pastell der Duschen traue ich den 1950ern oder 1980ern zu. Der Erhaltungszustand spricht für 1980. Diese Löcher in der Wand aus denen das Duschwasser kam, sprachen allerdings mehr für die 1950er.
Schwimmhalle
Hoch, mit Galerie, Kabinen an den Seitengängen. Ein Becken mit vier Bahnen, allerdings breit genug um auch fünf oder sechs Bahnen unterbringen zu können, entweder 27 oder 28 Meter lang (die Quellen widersprechen sich), gekachelt. Gestalt des Beckens und Materialien von allem wirken wie eine dezente Achtziger-Jahre-Variante, die versuchte auf das Denkmal Rücksicht zu nehmen. Einfach Kacheln, traditionelle Berliner Rinne – das heißt, Wasseroberfläche etwa unterarmbreit unterhalb des Beckenrandes. Vermutlich nicht gewollt, aber sehr atmosphärisch ist das laut hörbare Gurgeln des Überlaufrinnen-Wassers, das hinter einem Einstieg nach unten abfließt.
Eine Seite des Beckens ist etwa oberschenkeltief (laut Schild 65 Zentimeter), die andere geht auf 2,95 Meter herunter. Hier war wohl mal ein Sprungbrett. Von dem ist aber keine Spur mehr geblieben. Als ich komme ist das Becken mit Leinen in drei Teile geteilt: ein kleinerer Nichtschwimmerbereich, daran anschließend ein Bereich im tieferen Wasser und knapp die Hälfte des Beckens ist so abgeleint, dass man 27 Meter am Stück schwimmen kann ohne zwischendurch unter einer Leine durchtauchen zu müssen.
Publikum
Eine wochenendlich-bunte Mischung. Ich hatte Schwimmen-schwimmen gleich aufgegeben, weil es zu voll war, aber eine ältere Dame ist tapfer durch alle anderen hindurch Slalom gekrault. Ansonsten ein paar Schwimmer (Brust, wenig spannend), diverse Gruppen, einige wenige Familien mit Kindern. Alles in allem aber sehr entspannt und wenig bemerkenswert.
In der Woche: ähnlich bunte Mischung, eher voll. Wenig überraschend viele Senioren, eine Mutter mit Kindern, zwei Pärchen, drei Schwimmer mit sportlichem Ehrgeiz. Montagvormittag: ich einer von zwei Männer, der Rest Frauen 30 plus. Die jüngsten drei Damen in einer Art Burkini (Ganzkörperanzug und Badekappe), die offensichtlich viel Spaß hatten. Später noch der Mann mit Rottweiler-Tattoo auf dem Rücken, der einen unfassbar grausigen Stil in einem unfassbaren Tempo schwamm. Wie hat er das gemacht? Insgesamt: so ein bisschen wie ganz Spandau: bodenständig, unkompliziert, alles-ist-irgendwie-da. Einfach nett.
Gastronomie: so ein kleiner Kiosk mit Fenster und einer heruntergelassenen Jalousie. Keine Ahnung, wann die zuletzt geöffnet hat, scheint auf jeden Fall einige Jahre her zu sein. Zeichen waren nicht zu sehen.
Sonstiges
Noch nie sah ich Schwimmpersonal, mir derart gutem „echten“ Schuhwerk. Aber noch nie sah ich Personal, das so viel gelaufen ist. Kein Wunder, dass sie auch überdurchschnittlich jung waren.
Auch die 80er haben ihre Spuren hinterlassen. |
Wie ich alten Presseberichten entnehme, hat Spandau 04 das Bad zeitweise betrieben. Ob dem jetzt noch so ist? Trotz des fehlenden Drehkreuzes war die mir verkaufte Karte von den Berliner Bäderbetrieben, das Personal hatte auch deren T-Shirts an.
Was mich überraschte: das Bad scheint tatsächlich nicht unter Denkmalschutz zu stehen, nicht einmal in Teilen. Dabei gibt in es ganz Deutschland, optimistisch geschätzt, höchstens noch 20 Bäder aus der Zeit, die in Betrieb sind. Da kenne ich allein in Berlin-Schöneberg deutlich mehr gleichalte denkmalgeschützte Wohnhäuser.
Gastronomie
Irgendwann nach 1984 gab es anscheinend eine Cafeteria im Bad. Stellt das Schild doch bitte unter Denkmalschutz bevor jemand auffällt, dass die Cafeterie schon lange geschlossen ist. |
Seit der Sommerpause 2017 funktioniert der Süßigkeitenautomat wieder. Nicht weit entfernt liegt der „Autoimbiss“ mit „Fahrradschalter.“ Halb elf morgens (als ich ihn entdeckte) war selbst mir zu früh für eine Currywurst. Aber er erweckte überzeugend den Eindruck, als wäre das hier noch ein mit Liebr betriebener Familienimbiss alter Schule mit Qualitätspommes.
Nicht im Bad, sondern zwei Kreuzungen weiter. Aber genau so soll ein ordnungsgemäßer Imbiss aussehen. |
Fazit
Ein traumschönes Bad. Das einzige „alte“ Bad mit genug Beckenplatz, um tatsächlich schwimmen zu können. Diese großartige Kabinenkonstruktion – was Komfort und Schnelligkeit angeht, ist das hier das TXL der Berliner Bäder. Wenn es nicht am allerletzten Ende der Welt liegen würde, würde ich in dem Bad ja morgen einziehen.
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Es ist überraschend wie sehr dieses Bad dem öffentlichen Blick entschwunden ist. Nicht nur, dass es skandalös oft in den üblichen "Die schönsten Bäder der Stadt"-Auflistungen fehlt. Auch sonst gibt es nur wenige Fundstellen.
Frau Schwimmblog war natürlich schon da und hat über das Bad gebloggt: Stadtbad Spandau Nord
Ansonsten: die Zeitschrift Bauwelt hat zwei kurze Artikel (die ich beide noch nicht einsah). In der Ausgabe von 1912, Heft 29, S. 29 - 30 und in der Ausgabe 1966 S. 590. Berlins Bauten / Sport- und Bäderbauten von 1966 erwähnt das Bad kurz auf den Seiten 180 und 184 und Die Bauwerke und Kunstdenkmale von Berlin (1971) gönnt ihm ebenso zwei Seiten (246-247). Und dann wäre da natürlich noch das unermüdliche und an dieser Stelle vielfach erwähnte Bäderbau in Berlin. Architektonische Wasserwelten von 1800 bis heute.
Die anderen Iberty-Schwimmbadbeschreibungen liegen weiterhin unter Schwimmbäder nah und fern: Rückblick und Ausblick.
Anmerkungen
(*) Denn wie gerne mal bei den Berliner Bädern und deren Benennungen liegt das Bad gar nicht mehr im Ortsteil Spandau. Das Bad selbst liegt in Falkenseer Feld, die Straße vor dem Bad schon in Hakenfelde.
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